Die Daltons telefonieren - die sogenannte "Abhör-Affäre" der deutschen Luftwaffe

Am 19. Februar 2024 fand anlässlich der Vorbereitung eines Briefings für den Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, zum Thema Taurus im Zusammenhang mit einer möglichen Lieferung an die Ukraine ein Web-Chat, ein sogenanntes "Meetng", mit vier Offizieren der Luftwaffe der Bundeswehr statt.

Die Herren nutzten dazu WebEx von Cisco, eine von verschiedenen Bundesbehörden verwendete Software, die schon öfter mal durch eklatante Sicherheitslücken auffiel, weswegen der Gebrauch in der Bundeswehr nur in der niedrigsten Geheimhaltungsstufe "Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch" gestattet ist - und das nicht als App im Browser oder in der Idiotenlaterne, sondern nur als administrierte Desktop-Software. Die Teilnehmer waren:

  • Generalleutnant Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe der Bundeswehr
  • Brigadegeneral Frank Gräfe, Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando Luftwaffe in Berlin
  • Oberstleutnant Fenske, Zentrum Luftoperationen Kalkar
  • Oberstleutnant Florstedt, Taktisches Luftwaffengeschwader 33 Büchel

Mir fielen schon beim ersten Anhören der Audiodatei auf Margarita Simonjans Telegram-Kanal verschiedene Dinge auf.

  1. Das Gespräch überschritt die von der Bundeswehr für WebEx erlaubte Geheimhaltungsstufe mehrfach deutlich, viele Aspekte sind eigentlich unter der zweithöchsten Stufe "Geheim" einzuordnen.

  2. Brigadegeneral Gräfe befand sich zum Zeitpunkt des Gesprächs in Singapur - er musste auf einer Air Show gucken, wie Flugzeuge in anderen Ländern in der Luft fliegen. Er hatte sich offensichtlich über seine Idiotenlaterne in das Meeting geschaltet, und zwar höchstwahrscheinlich über das offene WLAN des Hotels. Das heißt, dass Gräfe eine weitere Regel der Bundeswehr gebrochen hat, nämlich WebEx nur als Desktop-Version zu nutzen. Das heißt aber auch, dass er eine Grundregel des Umgangs mit Netztechnik ignoriert hat - nämlich NIEMALS Vertrauliches, geschweige denn Geheimes über offene WLAN-Netze zu kommunizieren. Genau hier wird die Schwachstelle gelegen haben, die den Leak ermöglichte (was Pistorius mittlerweile bestätigte).

    Unklar bleibt nur, mit welchem Gerät sich Gräfe in die Konferenz eingeloggt hat. Pistorius spricht bisher von einem Mobilgerät, die Saarbrücker Zeitung weiß von einem Laptop zu berichten und andere Quellen vermelden ein Smartphone - was technisch gesehen aber egal ist. Das Kuriose an diesem informationstechnischen Totalversagen des Brigadegenerals Gräfe ist, dass der Mann an der Universität der Bundeswehr in München Informatik studiert hat. Der Mann ist Diplom-Informatiker! Noch unverständlicher wird Gräfes amateurhafter Auftritt in Singapur vor dem Hintergrund, dass er ab Ende 2019 Militärattaché an der Deutschen Botschaft in Washington war. Bekanntermaßen gilt Diplomaten im Allgemeinen und Militärattachés im Besondern die gesteigerte Aufmerksamkeit der Agenten sowohl aller weniger freundlichen als auch aller "befreundeten" Dienste. Er hätte eigentlich wissen müssen, dass die ugesicherte Einwahl in WebEx über das Hotel-WLAN riskant ist.

  3. Das Gespräch offenbart, was seitens des Wertewestens bisher abgestritten wird - es sind längst westliche Militärs in der Ukraine. Zitat Generalleutnant Gerhartz: »Wir wissen ja auch, dass da viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten rumlaufen.« Und das laut New York Times nicht erst seit Februar 2022:
    NYT, 25.02.2024: The Spy War: How the C.I.A. Secretly Helps Ukraine Fight Putin

  4. Die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine wäre mitnichten der seitens des Wertewestens erhoffte "Game Changer". Erstens besitzt die Bundeswehr nur 600 dieser Flugbomben, von denen allerdings lediglich 150 einsatzbereit sind. Zitat Generalleutnant Gerhartz: »Also, man könnte sagen, 50 in der ersten Tranche, und wenn sie uns dann nochmal würgen würden, für die nächsten 50, und da wär‘ aber auch Ende Gelände. So, das ist völlig klar.«
    RND, 04.03.2024: Taurus-Marschflugkörper: Wie viele gibt es, was bringen sie der Ukraine und was kosten sie?

    Zweitens ist die Крымский мост (Krim-Brücke) als das von der Ukraine behauptete Primärziel mit den Taurus-Flugkörpern kaum zu zerstören. Zitat Oberstleutnant Fenske: »Ich würde gern nochmal schnell ergänzen wegen der Brücke, weil wir uns die intensiv angeguckt haben. Und die Brücke ist leider – aufgrund ihrer Größe – wie ein Flugplatz. Das heißt, es kann durchaus sein, dass ich dafür 10 oder 20 Flugkörper brauche. [...] Ja, der Pfeiler, da machen wir unter Umständen nur ein Loch rein. Und dann stehen wir da… Um datenvalide Aussagen zu haben, müssten wir wirklich selber mal...« Angesichts dieser Tatsache ist zu befürchten, dass die Ukrainer die Dinger in Richtung Moskau lenken, sofern es ihnen gelingt, die Geräte eigenmächtig auf die vollen 500 Kilometer Reichweite zu programmieren.

    Drittens würde es selbst bei sofortigem Beschluss zur Lieferung mindestens ein Jahr dauern, wobei das eigentliche Problem, nämlich das der Flugzeuge, welche die Bomben tragen und abfeuern sollen, völlig unklar ist. Zitat Oberstleutnant Florstedt: »Der limitierende Faktor ist die Su-24, wie viel die davon überhaupt noch übrighaben. Das wäre dann in einem einstelligen Bereich.« Grundsätzlich ist der Taurus-Marschflugkörper weder zum Abschuss von Flugzeugen sowjetischer Bauart wie die Su-24 noch für die avisierten F-16 amerikanischer Bauart vorbereitet, die Lieferung müsste noch entsprechend angepasst werden, was laut Hersteller schon mal sechs Monate dauern kann.

  5. Die Art und Weise der Kommunikation der vier Herren Offiziere, ihr sprachlicher, mit albernen und hin und wieder falsch verwendeten Anglizismen durchsetzter Duktus, der launig-flapsige Ton erinnern mich eher an einen Chat postpubertärer Rotzlöffel auf Twitch als an den Duktus, den man von gestandenen Offizieren erwarten könnte und/oder sollte. Seltsamerweise ist das in den Leit- und Qualitätsmedien absolut kein Thema - obwohl der Einsatz der Taurus-Marschflugkörper eine signifikante Eskalation des Konflikts zur Folge hätte.

Soweit meine Einschätzung der Sachlage, doch die geschätzte Leserin und der geneigte Leser kann sich selbst kundig machen. Die deutschen Leit- und Qualitätsmedien weigern sich, das Telefonat zu dokumentieren, was nicht anders zu erwarten war. Sie ereifern sich zwar über den Leak des Gesprächs, schreiben aber wenig bis nichts dazu, was die feinen Herren Offiziere eigentlich sagten. Da dem Vernehmen nach einige soziale Medien, Twitter beispielsweise, Beiträge, die auf den WebEX-Call als Audiodatei und als Transkript bei Telegram oder RT verlinken, auf "unsichtbar" schalten oder ganz löschen, habe ich zu Dokumentationszwecken ein anderes Plätzchen zur Ablage der Dateien gefunden.
Audio-Datei: https://mega.nz/file/...VQhSxxR7svM
Transkript RT: https://de.rt.com/europa/197981-angriffsplaene-auf-krimbruecke-transkript-gespraechs/
Transkript Thomas Röper: https://www.anti-spiegel.ru/2024/das-transkript-des-gespraeches-der-luftwaffen-fuehrung/