Ali Baba und die vierzig Idioten [*]

Eine kleine, aber durchaus typische Begebenheit der allgemeinen Totalverblödung in diesem Land war resp. ist die Debatte um den sogenannten Ali-Baba-Spielplatz in der Neuköllner Walterstraße. Dort ließ das Bezirksamt einen Themenspielplatz bauen, dessen Motiv die gleichnamige Räuberpistole aus den Erzählungen aus "Tausendundeiner Nacht" sein sollte.

Das Ergebnis ist ein kuppelförmiges Gebilde mit Halbmond, das einer Miniaturmoschee durchaus ähnlich sieht. Wie nicht anders zu erwarten löste das Ding eine Debatte aus, an der im Grunde nur eines bemerkenswert ist: die an Schwachsinn grenzende Inkompetenz und Ignoranz aller Debattenteilnehmer von den diversen Berichterstattern in Morgenpost, Bildzeitung und Tagesspiegel über das Neuköllner Bezirksamt, in der Presse vertreten durch seine Vorsteherin Frau Dr. Giffey, bis hin zu den Empörten bei PI-News. Keinem, wirklich keinem einzigen der Debattierenden, fiel auf, dass die Erzählungen aus "Tausendundeine Nacht" so arabisch sind wie die sogenannten "arabischen" Zahlen, beide sind indischer Herkunft. Die Erzählungen wurden um 500, also gute 100 Jahre vor der Erfindung des Islam, ins Persische übersetzt und um persische Erzählungen ergänzt. Erst nach der Eroberung Persiens durch die Araber wurden die Erzählungen arabisiert und islamkompatibel umgeschrieben. Die älteste erhaltene, arabische Fassung entstand um 850, allerdings ist die Erzählung um Ali Baba und die 40 Räuber in den arabischen Fassungen nicht enthalten. Sie findet sich erst in der ersten europäischen Übersetzung durch Antoine Galland, die zwischen 1704 und 1709 erschienen. Angeblich hätte er sie von einem syrischen Märchenerzähler gehört, wahrscheinlicher ist nach Meinung der Literaturwissenschaft, dass er sie selbst erfunden hat.

Update: Am 6. Dezember 2017 eröffneten die vierzig Idioten den "Ali-Baba-Spielplatz". Dabei wusste Frau Doktor Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin (SPD), folgendes mitzuteilen (hier und hier): "Es handelt sich eindeutig um eine orientalische Burg mit Basar" und "Wir haben hier keine Moschee gebaut, sondern eine orientalische Burg".
Ja, Frau Doktor, exakt so sehen arabische resp. orientalische Burgen aus, wie diese Beispiele eindeutig belegen.

Bleibt also folgendes zu konstatieren:

1. Die Geschichten der Sammlung "Tausendundeine Nacht" sind - entgegen der landläufigen Annahme - keine Kindermärchen, sondern Erzählungen für Erwachsene mit teils tragischem, teils burleskem, teils erotischem Inhalt. Davon abgesehen dürften heutzutage die wohl meisten Kinder mit der Lektüre resp. dem Leseverständnis der Geschichten deutlich überfordert sein.

2. Wäre tatsächlich Ali Baba das Thema des Spielplatzes, stünden dort jetzt - selbst unter der Annahme, es handele sich um eine originär arabische Erzählung - die kindgerechten Nachbildungen der ärmlichen Behausung eines Holzfällers und einer Felshöhle und auf keinem von beiden wären eine Kuppel mit Halbmond nebst minarettähnlicher Rundbalken vonnöten. Andere Örtlichkeiten werden in der Erzählung nicht näher geschildert, eine Moschee wird nur am Rande anlässlich der Beerdigung von Ali Babas Bruder Casim erwähnt, weil sich der Friedhof daneben befindet.

3. Um Missverständnisse zu vermeiden - man muss das nicht alles wissen. Aber wenn man es nicht weiß, die historischen Fakten nicht kennt und die Erzählungen mangels Bildung literaturwissenschaftlich nicht einordnen kann, dann sollte man - frei nach Dieter Nuhr - einfach mal die Fresse halten. Das gilt für alle Beteiligten.

4. Die Gestaltung des Spielplatzes folgt einem, in der "abendländischen" Kultur weit verbreiteten Klischee vom "Morgenland", das sich - wie beim Neuköllner Ali-Baba-Spielplatz - im Reduzieren der arabischen Kultur auf den Islam manifestiert. Das ist kulturimperialistisch oder - im üblich gewordenen, erweiterten Sinn des Begriffs - rassistisch.

5. Die Gestaltung des Spielplatzes ist natürlich eine Anbiederung an den Zeitgeist, eine ziemlich plumpe und banale dazu, der unbedingte Begeisterung für "Vielfalt", "Buntheit" und "Multikulturalität" ohne Rücksicht auf historische Fakten gebietet - einer Vorstellung von "Vielfalt", die letztlich aus der kulturabstinenten und -resistenten Einfalt ihrer Protagonisten und Propagandisten resultiert.

6. Die Debatte um den Spielplatz ist ein Abbild dessen, wozu der gesellschaftliche Diskurs hierzulande in den letzten Jahren verkommen ist:

  • a) Jeder hat eine "Meinung".
  • b) Keiner kann selbige halbwegs angemessen argumentieren.
  • c) Die argumentativen Lücken werden mit Emotionen und/oder ideologischen Schlagworten gefüllt.
  • d) Alle haben gefühlt irgendwie ein bisschen recht.

Das Traurige, Tragische, Widerliche an dieser bräsigen Schwurbelei der Medien (hier, hier oder hier), an dieser hemmungs-, scham-, besinnungs- und schier endlosen Blindlaberei ist aber, dass sie mittlerweile die Essenz dessen ist, was sich heute als "links" versteht - ein permanentes, penetrantes Grundrauschen von Befindlichkeitsbekundungen in allen Medien. Nur selten wird es mal lustig, nämlich immer dann, wenn diese Knalltüten sich selbst ins Knie schießen. Ist aber auch nicht wirklich ein Trost, es reicht nur für ein kurzes, höhnisches Lachen.

[*] Die Zahl steht - neben diversen anderen Bedeutungen - im Orient auch als Synonym für "viele".

Fotos: eigene Aufnahmen vom 10.11.2017