Fok Julle Naaiers!

Was für ein Elend! Ich weiß nicht, was irgendwann Mitte der 1990er Jahre passierte, aber etwas begann da, das fürchterliche Konsequenzen zeitigt, die sich seit etwa Mitte der sogenannten Nullerjahre zeigen. Manche nennen es Kultur- oder Werteverfall, doch der wird spätestens seit Gaius Sallustius Crispus mit schöner Regelmäßigkeit in jeder Generation aufs Neue beklagt.

Andere nennen es eine massive und umfassende Totalverblödung, das scheint es als Beschreibung dieses Phänomens eher zu treffen, denn eine der eingangs erwähnten Konsequenzen ist eine intellektuelle Verödung. Das trifft natürlich auch - um die soll es hier ja eigentlich gehen - auf die Musik zu - welch eine musikalische und stilistische Einöde! Während ich dies schreibe, läuft der dreißig Jahre alte Musikfilm "Stop Making Sense" von David Byrne und den Talking Heads - kann man sich einen größeren Kontrast zum heute üblichen Standard denken? Damals standen dort, wo heute mit Glitzerkram behängte Knalltüten herumhampeln und im Grunde nichts als eine permanent wiederholte Deklination des Pronomens "ich" ins Mikrofon plärren, echte und oft - wie David Byrne - charismatische Persönlichkeiten, die meisterhaft ihre Instrumente beherrschten, musikalische Kunstwerke mit intelligenten Texten darboten und jeder im linken, kleinen Zeh mehr Musik- und Rhythmusgefühl hatten, als die Summe der in der letzten Dekade über die Bühnen zahlloser Castingshows gejagten Vollpfosten.

Freilich wurde auch früher Schrott produziert, und der reichlich, aber die Relationen waren andere. Einerseits waren die technischen Produktions- und Vertriebskosten um ein Vielfaches höher als heute, weshalb Produzenten nicht jeden Deppen ins Studio und ein Tape vollsingen ließen. Zum anderen konnte man seinerzeit, als es noch den gutsortierten Plattenladen gab, den Stuss einfach ignorieren. Das ist heute nicht mehr so einfach, dere Verlust der Qualität ging mit einem nachgerade beängstigenden Anwuchs der Quantität einher. Oder anders - begünstigt durch den Internethandel, also mit der Möglichkeit der Minimierung von Lagerhaltungs-und Vertriebskosten, wird der Markt mit einer Flut an schnell und billig produziertem Musiktrash überschüttet - und das ist neu.

Der Fairness und der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle gesagt, dass es Nischen gibt, in denen man - bildlich gesprochen - verschnaufen und aufatmen kann. Es gibt sie noch, die kreativen, inspirierten und inspirierenden Musiker - Muse, Arcade Fire und Eels. Auch Zola Jesus, Brooke Fraser und Indila sind hier zu nennen. Aber sonst - wo ich auch hinhöre - stets derselbe Dreck. Dabei sind sie nichts als eine Zumutung, diese Kasper, deren einzige Qualifikation, als "Künstler" in der Öffentlichkeit zu posieren, offensichtlich die Wahl möglichst dämlicher Pseudonyme ist - Jay Z, P Diddy, MC Fitti, Haftbefehl. Er ist unerträglich, dieser dröge, hedonistische Einheitsbrei, der heute als Pop-, Rap- oder Weiß-der-Geier-was-für-Musik verkauft wird. Es ist jenseits der Schmerzgrenze blöde, das grenzdebile, selbstreferentielle Gestammel und geradezu unterirdisch wird es, wenn solche Musterschüler unserer Willkommenskultur wie Kurdo oder Haftbefehl vom Ghetto daherbrabbeln, in dem sie - was sonst - die "Babos" sind - in Heidelberg und Offenbach wohlgemerkt! Einfach nur peinlich hingegen ist das verblasene Geschwurbel, das zum Vortrag zu bringen sich Andreas Bourani, Daniel Aminati oder Revolverheld gehalten sehen. Zur unangefochtenen, nun ja, Meisterschaft der weggeknödelten Hirnejakulation hat es Jan "sie is wunderscheen, sie hat nur ein Bropläm, sie gannich dannsn" Delay gebracht. Ach ja, und Cro, den singenden Clown mit der Pandamaske, gibt es ja auch noch.

Was aus den USA kommt, ist nicht besser, nur etwas leichter zu ertragen, weil sich der Schwachsinn sprachbedingt erst beim zweiten Hören offenbart. Allerdings bin ich mir seit ein paar Jahren nicht sicher, ob es sich bei den Auftritten von Beyonce, Jennifer Lopez, Lady Gaga, Rihanna, Iggy Azalea, Nicki Minaj nicht eigentlich um musikalisch untermalte Werbekampagnen für Victoria's Secret statt um Popmusik handelt, wobei eine begnadete Interpretin wie Rihanna diese affektierten Inszenierungen gar nicht nötig hätte. Vermutlich ist dieses Phänomen wie viele andere der modernen Warenwelt auch der Eigendynamik liberalistischer Verwertungsmechanismen zum Zwecke der Profitmaximierung geschuldet, die nach 1990 einerseits sukzessive alle Fesseln sprengten und andererseits den Menschen nur noch als konditionierten Konsumaffen wahrnehmen, was - wie jüngst die Schlangen vor den Apple-Stores zeigten - perfekt funktioniert. Zeitgenossen, die sich für systemkritisch halten, nennen diese Manifestationsform des Kapitalismus gerne "Neoliberalismus", was aber deshalb Unfug ist, weil der Begriff suggeriert, es hätte da zwischenzeitlich etwas Besseres gegeben, als gäbe es einen irgendwie "guten", quasi "echten" Liberalismus. Es war nie anders, wer's nicht glaubt, kann das bei Karl Marx, Sichwort "Kapitalfetisch" [1], und in Edward L. Bernays' "Propaganda" aus dem Jahr 1928 [2] nachlesen.

Miley Cyrus hat in den letzten Monaten seit Februar mit der Tour zu ihrer letzten Scheibe "Bangerz" exemplarisch und de facto in Reinform vorgeführt, welch seltsame Blüten dieser Mechanismus treiben kann. Da war nämlich Folgendes passiert: Disney und Nickelodeon entschieden sich, in kurzen Zeitabständen zwischen Ende 2011 und Anfang 2013 mit "Hannah Montana", "iCarly", "Wizards of Waverly Place" und "Victorious" gleich vier beliebte Kinder- und Jugendserien abzusetzen, was hauptsächlich daran lag, dass die Hauptdarsteller mittlerweile nicht mehr als Kinder durchgingen. Im Ergebnis gab es mit Miley Cyrus, Miranda Cosgrove, Selena Gomez, Victoria Justice und Ariana Grande fünf mehr oder weniger beschäftigungslose, junge Frauen im selben Alter mit ähnlichem Aussehen, deren zweites Standbein die Musik... na ja, sagen wir das Wegträllern ebenso schlichter wie eingängiger Pop-Songs für dieselbe Zielgruppe war. Miley Cyrus hat nichts anderes getan, als diese Verwertungsmechanismen bis an die Zumutbarkeits- und Legalitätsgrenze auszureizen und hat dabei genauso hoch gepokert wie ein Börsenspekulant. Es hätte nämlich auch schief gehen können - ist es aber nicht und es ist ihr gelungen, ein Image als Marke zu etablieren, was ihr im Resultat allein für die Bangerz-Tour bisher knappe 70 Millionen Dollar einbrachte [3]. Kurios war die Reaktion im deutschen Feuilleton, als sich die Damen und Herren Kulturredakteure, die eine Schmonzette wie "Feuchtgebiete" als hohe Kunst anpreisen, sich echauffierten und meinten, das ginge ja nun gar nicht, wenn Miley Cyrus in ihren musikalischen Darbietungen nämliche Regionen eher mehr als weniger knapp bedeckt einem breiten Publikation zur Schau stellt.

Früher kam die Erlösung aus diesem Ohren- und Augenmartyrium aus dem Norden. Doch da ist es seit einigen Jahren verdammt ruhig geworden. Von Dimmu Borgir hörten wir zuletzt 2010, die Herren scheinen sich auf ihren Tantiemen auszuruhen. Nightwish ist nach der Meuterei gegen und der nachfolgenden Trennung von Tarja Turunen mit dem Abschlusskonzert der Once-Tournee am 21. Oktober 2005 de facto nicht mehr existent. Sie sind nun zwar ihre Diva los, allerdings auch ihr musikalisches Profil, seitdem da Damen der Doro-Klasse einen wegschmettert. Die Herren von Apocalyptica wissen seit einigen Jahren offensichtlich selbst nicht so genau, was sie eigentlich treiben, geschweige denn, was sie wollen und Therion hatte mit der Miskolc Experience definitiv den Zenit überschritten und lässt seitdem nichts unversucht, als Karrikatur ihrer selbst zu reüssieren. Einzig Dark Tranquillity und Peter Tägtgren mit Hypocrisy und Pain halten die Stellung gegen den Ansturm der musikalischen Totalverblödung.

Soweit die Zustandsbeschreibung. In dieses musikalisch-ästhetische Desaster krähte Ende 2009 ein zwitschernd-schrilles Stimmchen zu einem wüst-eklektischen Gemisch aus Drum 'n' Bass und Techno-Beats. Dazu hüpfte ein Typ jenseits der Grenze zur Unterernährung mit Hip-Hop-Habitus und ziemlich albernen Tattoos im Knastlook auf eine Weise durchs Set, die mich bis heute mutmaßen lässt, er wolle diese Attitüden persiflieren. Was war denn da passiert? Naht, nachdem der Norden sich auszuruhen scheint, etwa aus dem Süden die Erlösung aus dem Elend? Mehr dazu im nächsten Heft...

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Anmerkungen und Quellen:
[1] Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke, Band 23, "Das Kapital". Dietz Verlag, Berlin 1968.
http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_049.htm#Kap_1_4 Sichtdatum: 06.04.2019
Marx-Engels Werke als PDF: http://marx-wirklich-studieren.net/marx-engels-werke-als-pdf-zum-download/
[2] Bernays, Edward L.: Propaganda. Horace Liveright, New York 1928.
    Originaltext englisch Sichtdatum: 06.04.2019
    Deutsche Übersetzung Sichtdatum: 06.04.2019



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